Resilienz

„Neues entsteht,
wenn man Bekanntes
neu kombiniert.“   

Systemische Resilienz, Teil 4: Resilienz einüben

Wie kann man Resilienz einüben?

Wer ist welchem Szenario gegenüber wie resilient?

Absolute Resilienz gibt es nicht. Vollständig unempfindlich gegen alles zu sein ist eine fantastische Eigenschaft. Sie mag auf Superhelden und Comicfiguren zutreffen, also auf Fantasie-Gebilde, aber in der Realität die wir zu meistern haben, gibts es nur „relative Resilienz“. Also: etwas oder jemand kann mehr oder weniger widerstandsfähig gegenüber dieser oder jener Entwicklung sein.

Die Fragen, die man bei der Suche nach Resilienz also stellen muss, sind folgende:

…wer?
…gegenüber welchem Szenario?
…wie stark verletzlich oder widerstandsfähig?
…welche Wege zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit?

Die Frage nach „Wer?“ ließe sich beispielsweise beantworten mit:

ich
meine Familie
meine Firma/Organisation
meine Stadt
mein Land
mein Computer
das Finanzsystem
...

Diese und viele weitere Systeme kann man auf ihre Widerstandsfähigkeit hin testen. Ohne zu wissen, welches System man testet, kann man keine Aussage über „Resilienz“ machen. Nennen wir dieses „Wer?“ das „Untersuchungssubjekt“.

Um die die Frage nach Widerstandsfähigkeit zu beantworten bedarf es außerdem eines Szenarios, das eintritt. Szenarien beziehen sich dann immer auf das Untersuchungssubjekt. So stellt man fest, dass manche Szenarien auf viele Untersuchungssubjekte gar nicht passen. Das Szenario „ein Glas Wasser drüberschütten“ ist für die Familie, die Stadt oder das Finanzsystem offensichtlich unproblematisch oder sogar unmöglich. Für „mich“ und für „meinen Computer“ kann dieses Szenario aber durchaus problematisch sein: Wenn ich ein anfälliges Immunsystem habe und mich schnell erkälte, kann das Szenario eines über meinem Körper verschütteten Glases Wassers durchaus als Prüf-Szenario herhalten. Extrem verletzlich gegenüber diesem Szenario sind Menschen, die eine Allergie auf Wasser haben. Die meisten Computer sind gegenüber einem verschütteten Glas Wasser ebenso höchst verletzlich, weil Wasser in sie eindringt und die Elektronik kurzfristig durch Kurzschlüsse und langfristig durch Rost zerstören kann. Die meisten Computer sind also wenig resilient gegenüber Szenarien, bei denen sie mit Wasser in Kontakt kommen.

Wer die Verletzlichkeit seiner Firma oder Organisation testen will, muss sich also fragen:

Welche Szenarien sind vorstellbar, die meine Organisation angreifen könnten?

In der Corona-Pandemie lernen viele Unternehmen schmerzhaft, dass sie gegenüber einer Kontaktsperre hochverletzlich sind. Gastronomiebetriebe und Friseure, aber auch Verkehrsunternehmen und Schulen gehören zu „Hochrisikounternehmen“ für das Szenario einer Kontaktsperre. Dabei spielt es für die Unternehmen keine Rolle, ob diese Kontaktsperre politisch vorgegeben, oder von den Menschen freiwillig vorgenommen wird: wer Kontakte zu anderen Menschen meidet wird sich nicht in gefüllte Restaurants oder Busse setzen, nicht andere Menschen an seine Haare lassen und auch keinen Präsenzunterricht nutzen.

Da diese Unternehmen aber zugleich verletzlich dafür sind, dass ihnen die Umsätze ausgehen, suchen sie nach Wegen, die Kontaktsperre zu umgehen oder mit ihr umzugehen. Restaurants bieten To-Go-Menüs an oder verlagern ihr Restaurantgeschehen nach draußen, gepaart mit großem Abstand zwischen den Tischen. Man arbeitet mit Masken und testet seine Mitarbeiter, oder unterbindet den Fahrkartenverkauf durch den Busfahrer. Die derzeitigen Versuche von Politik und Unternehmen, Regeln zu entwickeln die einen Unternehmensbetrieb trotz potenzieller Ansteckungsgefahr zu ermöglichen ist der Versuch, die eigene Verletzlichkeit durch eine Epidemie zu verringern. Da die Verletzlichkeit nicht rein biologisch ist (durch die Ansteckung von Mitarbeitern oder Kunden mit einer Krankheit), sondern auch betriebswirtschaftlich (durch den Verlust von Umsatz droht Insolvenz), wird nach Handlungsmustern gesucht, mit denen sich die Gefahr von Ansteckung mit der Gefahr von Insolvenz ausbalancieren läßt. Im Vorteil sind dabei jene Organisationen, die zu möglichst kreativen Lösungen kommen. Hier zeigt sich, dass Kreativität, Anpassungsfähigkeit und Flexibilität die größte „Waffe“ gegen Szenarien aller Art ist: Wer eine Vielfalt von Lösungsoptionen entwickelt und umsetzt, hat mehr Chancen auf Überleben.

Szenarioanalyse/Szenariotechnik

Mit Szenarien wird im Management bereits seit längerem gearbeitet. Die Grundidee ist, Annahmen über die Zukunft zu machen und die sich daraus ergebenden Entwicklungen auf die eigene Organisation anzuwenden. (Szenarioanalyse/Szenariotechnik) Also beispielsweise: Welche Zukunfts-Szenarien ergeben sich aus der Möglichkeit

  • …dass alle Menschen bei der Geburt künftig einen Identifikations-Chip unter die Haut implantiert bekommen.
  • …dass der Meeresspiegel bis 2070 um 1 Meter steigt.
  • …dass ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt wird.
  • …dass in 2 Monaten ein Impfstoff oder in 5 Jahren kein Impfstoff gegen Corona entwickelt wird.
  • … und so weiter…

Wie diese kleine Liste zeigt gibt es unendlich viele mögliche Szenarien, wie die Zukunft sich gestaltet, und jedes Einzel-Szenario hat enorm viele direkte und indirekte Wirkungen auf die eigene Organisation. Die Möglichkeiten sind unüberschaubar, und es bieten sich sowohl Zukunftschancen wie auch Risiken für die einzelne Organisation. Das Denken in Szenarien ermöglicht immerhin, eine kleine Vorausschau auf die zukünftige Welt zu bekommen, in der man sich bewegt.

Wenn man allerdings von der bestehenden Situation in einer Organisation/Unternehmen ausgeht, so mögen diese großen Zukunftsmöglichkeiten zu groß sein, um damit gut arbeiten zu können. Wenn es um die Frage nach der Widerstandsfähigkeit und der Verletzlichkeit einer Organisation geht, kann man das Szenario mit einem Trick viel präziser zuspitzen.

Verletzlichkeit prüfen: Ein Element herausnehmen

Die Idee ist:

Nehmen Sie ein einzelnes Element aus dem System, das in Ihrem Unternehmen/in Ihrer Organisation eine Rolle spielt, und prüfen Sie, welche Wirkungen dieses Herausnehmen auf diese Organisation hat.

Ein solches Element kann eine Mitarbeiterin sein, die das Unternehmen (plötzlich) verläßt. Es kann auch eine politische Entscheidung sein, durch die ein Produkt, das das Unternehmen anbietet, nicht mehr verkauft werden darf. Oder es ist ein Partner, auf den man sich verläßt, der plötzlich pleite geht.

Dieser Ansatz spielt also mit der Idee, sich eine einzelne Hürde vorzunehmen: indem etwas verschwindet, was grade noch vorhanden war, und mit dem man (ganz selbstverständlich) gearbeitet hat. In der Corona-Pandemie ist es der direkte körperliche Kontakt, der schwierig bis unmöglich ist – der also aus dem System verschwunden ist. Wer die Verletzlichkeit seiner Organisation auf verschiedene Szenarien prüfen will, der stelle sich vor, eines folgender Elemente wäre nicht mehr möglich, und dennoch müsste das Unternehmen sich um Funktionsfähigkeit bemühen:

  • alle sind Banken geschlossen (Szenario: Finanzkrise)
  • der Strom ist weg (Szenario: Black Out)
  • die Tankstellen liefern kein Benzin mehr (Szenario: Peak Oil)

Für die einzelne Organisation mögen ganz andere Aspekte wichtig oder wahrscheinlicher sein, dass sie eintreten. Daher müßte jede Organisation sich selbst fragen: Was sind bei uns die kritischen Elemente, deren Verschwinden uns in Schwierigkeiten bringen würde? Und dann genau deren Verschwinden einmal durchzuspielen.

Ich möchte drei Romane empfehlen, die genau mit solchen Szenarien spielen. Alle drei Bücher haben eines gemeinsam: sie lassen ein als selbstverständlich geltendes Element verschwinden und spielen das Szenario breit durch. Die Fantasie der Autoren macht dabei sichtbar, welche Nebenwirkungen das Verschwinden eines Elements in unserer komplexen Zivilisation haben kann. Menschen, die in ihrem Unternehmen solche Szenarien durchspielen wollen, können anhand der Bücher ihre Fantasie schulen:

  • Marc Elsberg: Black Out. Fehlendes Element: Strom. Das Buch spielt mit dem Szenario eines wochenlangen europäischen Stromausfalls, und basiert streng auf wissenschaftlichen Fakten. Als Roman geschrieben ist es hochspannend, aber nichts für schwache Nerven.
  • Andreas Eschbach: Ausgebrannt. Fehlendes Element: Öl. Das Buch diskutiert das Verteuern und Ausbleiben von Mineralöl als Treibstoff und Rohstoff und die sich daraus ergebenden Szenarien.
  • Neal und Jarrod Shusterman: Dry. Fehlendes Element: Wasser. Das Buch spielt das Szenario einer Wasserknappheit in Südkalifornien durch.

(Bitte kaufen Sie bei Interesse die Bücher bei einem lokalen Buchhändler und unterstützen Sie so die Widerstandsfähigkeit ihrer örtlichen Versorgungsstruktur!)

Die Reduktion der Szenarien auf ein einzelnes entferntes Element ist nicht realitätsfern. Wie die Corona-Pandemie zeigt ergibt sich die Komplexität der Situation aus den Wechselwirkungen rund um dieses einzelne fehlende Element. Der fehlende physische Kontakt zwischen Menschen führt in der Corona-Pandemie zu komplexen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wirkungen, die alle auf jede einzelne Organisation zurückwirken. Natürlich wird die reale Situation keineswegs einfacher, wenn man statt nur eines mehrere Elemente eliminiert, doch zum „Heranüben“ an Resilienz-Fragen ist es ausreichend, mit der Herausnahme eines einzelnen Elements zu beginnen.

Resilienz üben: Übungen mit Mitarbeitern und Partnern

Auf Organisationen/Unternehmen übertragen bedeutet dies:

Setzen Sie eine Übung an, die damit spielt, dass ein Element, welches normalerweise selbstverständlich vorhanden ist, nicht mehr verfügbar ist. Dieses Element muss keineswegs aus obiger Liste stammen, es kann sich ganz spezifisch auf Ihre Organisation beziehen. Lassen Sie die Mitarbeiter dann das Szenario durchspielen unter der Aufgabenstellung: „Angenommen, … ist nicht mehr verfügbar, wie gehen wir damit um?“

  • Welche Reaktionen zeigen die Mitarbeiter*innen?
  • Welche direkten und indirekten Auswirkungen sieht das Team für dieses Szenario auf sich selbst, den eigenen Arbeitsbereich und die Gesamtorganisation zukommen?
  • Wie organisiert sich die Mitarbeiterschaft um, um die üblichen Unternehmens-Ergebnisse trotz des Fehlens des einen Elements zu erreichen? Entstehen neue Rollen? Entwickeln sich neue Führungsfiguren?
  • Welche kreativen Ideen entstehen, um mit der neuen Situation umzugehen? („Workarounds“)
  • Ergeben sich daraus Empfehlungen für das Alltagsgeschäft, die sich implementieren lassen?

Man kann dieses Szenario als Planspiel „am Tisch“ durchspielen, oder man versucht tatsächlich „Workarounds“ zu erarbeiten und zu implementieren. Für das Team ist allein das Durchdenken des Szenarios bereits wertvoll, weil das menschliche Gehirn dann bereits das Szenario „zumindest gedanklich durchgespielt” hat und bei einem tatsächlichen Eintritt des Szenarios Ideen wieder aufgerufen werden können. Wenn jedoch auch noch echte Umgehungswege tatsächlich ausprobiert werden, können sogar neue Wege der Unternehmensorganisation entstehen, oder neue Dienstleistungen/Produkte.

Unternehmen machen gern „Teambuilding-Maßnahmen“, bei denen auf Bäume geklettert oder gemeinsam Sport gemacht wird. Auch eine Resilienz-Übung kann teambildend sein! Auch wenn sich solche Übungen um Bedrohungs-Szenarien drehen, heißt das nicht, dass das Ergebnis nur als bedrohlich empfunden wird. Wenn die Mitarbeiter*innen spüren, dass im Extremfall alle an Lösungen arbeiten, setzt dies gemeinschaftliche Energien frei. Wenn allerdings sich die Mitarbeitenden vom Szenario tatsächlich nur bedroht fühlen, ohne dass sie Handlungs- und Auswege finden, dann wird deutlich: Ihr Unternehmen hätte in diesem Szenario ein grundlegendes Problem! Im positiven Fall wird jedoch die Kreativität und das Gemeinschaftspotenzial sichtbar, dass in Ihrem Team schlummert.

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Post-Corona-Stadt

Das Wuppertal-Institut hat vor dem Hintergrund der globalen Corona-Pandemie die Frage in einem Diskussionspapier aufgeworfen: Was sind Eckpfeiler einer „Post-Corona-Stadt“?

Die formulierten Facetten sind für Menschen nicht neu, die sich länger mit Fragen der Risikovorsorge sowie nachhaltiger Stadtentwicklung befassen. Neu ist allerdings das kollektive Krisenerlebnis, in das alle Menschen geworfen sind. Dadurch werden Diskussionen möglich, die vorher nur in kleinsten Kreisen möglich waren.

Das Papier des Wuppertal-Instituts beschreibt im Dreiklang aus „Näher“, „Öffentlicher“ und „Agiler“ neue Schwerpunktbereiche der Stadtentwicklung. Näher meint: regionaler, insbesondere was Nachbarschaften, Subsidiarität und regionales Wirtschaften angeht. Öffentlicher meint das verstaubte Wort der „Daseinsvorsorge“ auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts anzupassen. Agiler meint: die städtischen Systeme so aufzustellen, dass sie reaktionsfähiger und flexibler sind, und auf Eventualitäten schneller und passgenauer reagieren können.

Ein sehr lesenswertes Papier, das Resilienz als zentral gesetzte Eigenschaft der Städte annimmt, und das nur einen zentralen „Schönheitsfehler“ hat: Einen Titel, der annimmt, es gäbe so etwas wie eine „Post-Corona“-Zeit, also eine Zeit „nach Corona“. Dabei steht doch die Situation im Raum, dass Corona nichts ist, was „vorbeigeht“ sondern was vielmehr dauerhaft anwesend sein wird und in die Stadtentwicklung integriert werden muss. Was das Wuppertal-Papier beschreibt ist also vielmehr die „Stadt im Angesicht andauernder globaler Krisen“.

Dazu passende Artikel auf zukunftsstadt.de:

Systemische Resilienz, Teil 3: Resilienz und Regionalentwicklung

Wer Resilienz für Regionen denken will, muss zuerst das Verhältnis zwischen Stadt und Land beleuchten. Städte waren schon immer abhängig vom Land, da eine Versorgung der Städte rein aus dem Stadtgebiet ab bestimmten Einwohnerzahlen unmöglich ist. Die Konzentration der Stadtbevölkerung auf geringem Raum ermöglicht zahlreiche Vorteile, wie effiziente Nutzung von Land für Wohnraum durch Hochbau, kulturelle Vielfalt, kurze Wege und so weiter. Aber für die Versorgung mit Nahrung, Wasser, Energie, Rohstoffen, Produktions- und Konsummitteln waren Städte immer schon aufs (Um-)Land angewiesen. Diese Abhängigkeit rückte mit der Globalisierung ins Unsichtbare, weil Benötigtes „aus Übersee“ kam statt aus dem städtischen Umland. Doch diese Veränderung der Lieferketten war nur eine Erweiterung der städtischen Abhängigkeiten in noch weiter entfernte Regionen. Städte sind heute nicht mehr nur von ihrem Umland abhängig, sondern von so weit entfernten und anonymen Orten, dass die die meisten Stadtbewohner sie weder kennen noch jemals besucht haben.

Der ökologische Fußabdruck als Hilfsmittel

Sichtbar wird die Abhängigkeit, wenn man den Ansatz des Ökologischen Fußabdrucks auf Städte anwendet. Der Ökologische Fußabdruck ist ein Maß dafür, welche Fläche benötigt wird, um den Lebensstandard eines Menschen abzudecken. Die Flächenumrechnung ist nicht ganz unproblematisch, weil man fließendes Wasser nur begrenzt in Quadratmeter umrechnen kann, oder benötigte Mengen an Kobalt für ein Mobiltelefon eines Berliners nur begrenzt in brandenburgische Quadratmeter abbilden kann – Kobalt wird in Brandenburg nicht gefördert. Dennoch ist der ökologische Fußabdruck (oder der ökologische Rücksack) ein hilfreicher Wert, um städtische Abhängigkeiten sichtbar zu machen.

Für Deutschland wird ein ökologischer Fußabdruck von ca. 5,5 Hektar pro Person berechnet: Die Durchschnittsdeutsche beansprucht also für ihren Konsum eine Fläche von 5,5 Hektar. Da Deutschland ein relativ dicht besiedeltes Land ist, steht für vergleichsweise viele Menschen relativ wenig Fläche zu Verfügung, weshalb sich ein ökologisches Defizit von 3,2 Hektar pro Person ergibt: „Wir“ Deutschen beanspruchen also pro Person 3,2 Hektar Fläche außerhalb des eigenen Landes. (Man könnte dies als ökologischen Kolonialismus bezeichnen.) Übertragen auf Berlin: 3,6 Mio Einwohner multipliziert mit 5,5 Hektar sind ca. 20 Millionen Hektar, also ca. 200.000 Quadratkilometer. Berlin selbst ist gerade einmal 900 Quadratkilometer groß, Brandenburg ca. 30.000 Quadratkilometer. Würde man einen Kreis um Berlin ziehen, um die 200.000 Quadratmeter ökologischen Fußabdruck direkt aus dem Umland zu beziehen, so hätte dieser Kreis einen Radius von 250 km um den Fernsehturm am Alex. Dieser Kreis umfasst alles zwischen Usti nad Labem in Tschechien, Posen in Polen, Hannover im Westen und Rügen im Norden. Dieser Kreis ist die „regionale Beanspruchung Berlins“.

Nicht berücksichtigt in dieser Kalkulation sind die BewohnerInnen, die in diesem Kreis leben. Denn auch die Menschen in Cottbus, Rostock oder Dresden haben eigene ökologische Fußabdrücke, die durch Berlins Anspruch noch nicht abgedeckt sind, sondern noch dazukommen. Man kann hieran einen Verteilungs-Konflikt ablesen, der hierzulande nur deshalb nicht sichtbar wird, weil wir Waren und Dienste aus aller Herren Ländern durch globalisierten Lieferketten vereinnahmen.

Sprechen wir also über Resilienz und Widerstandsfähigkeit in einer nachhaltigen Zukunft, so wird einerseits deutlich, dass die ökologischen Fußabdrücke der Deutschen viel zu groß sind und schrumpfen müssen, dass aber andererseits Stadt und Land zusammenarbeiten müssen, weil eine Versorgung der Städte ohne das Land nicht möglich ist.

Symbiose zwischen Stadt und Land

Denkt man Resilienz als Grundkonzept regionaler Entwicklung so wird schnell deutlich, dass die Abhängigkeit zwischen Stadt und Land nicht auflösbar ist. Sie muss stattdessen konstruktiv ausgestaltet werden. Dafür hilft es, sich vor Augen zu führen, was Stadt und (Um-)Land füreinander tun können.

Städte sind Zentren des Handels und der Kultur, aber auch besonderer Leistungen, wie Gesundheitsleistungen. Davon macht die Landbevölkerung rege Gebrauch bei Theaterbesuchen, Shoppingsamstagen und Krankenhausfahrten. Für das Land sind die Städte Abnehmer und Markt, aber auch Kultur- und Kreativlieferanten. Das Land ist der Garten, Rohstoff- und Energiequelle für die Städte: die Quelle der Grundversorgung. Hinzu kommen wechselseitige Aspekte wie Nahtourismus und Erholungsgebiete, wobei das Land mehr Natur und die Stadt mehr Kultur zu bieten hat. Auf dieser potenzielle Arbeitsteilung ließe sich eine spannende Symbiose der Zukunft formen.

Bislang ist diese Sicht aber sehr theoretisch. Bewusst praktiziert wird eine daraus resultierende Zusammenarbeit aber noch sehr selten. Das liegt auch an den administrativen Abgrenzungen: Es gibt kein Land „Berlin-Brandenburg“, sondern zwei nebeneinander her agierende politische Administrationsbereiche. Das mag in Regionsverbünden wie rund um Hannover oder Nürnberg anders sein, wo regionale Zusammenarbeit intensiver gelebt und auch institutionell unterfüttert wird. Bislang herrscht aber das Prinzip vor, dass städtisches Handeln an der Stadtgrenze endet und das Land als Konkurrent (z.B. um staatliche Gelder) statt als Kooperationspartner wahrgenommen wird (und umgekehrt).

Versorgungswirtschaft

Die Corona-Pandemie führt uns vor Augen, dass die Versorgung der Städte und des Landes keine Selbstverständlichkeit ist. Mit dem Fokus auf Klopapier und Mehl wurde sichtbar, dass eine Versorgung mit Lebensnotwendigem im Krisenfall wichtiger ist, als die Versorgung mit Luxusprodukten. Diese Perspektive müßte eigentlich dazu führen, dass wir nochmal neu über unser Bild von „Wirtschaft“ nachdenken und entsprechend: unser Bild kluger Wirtschaftsförderung. Würde man die Aufgabe der Wirtschaft in erster Linie als „Versorgung der Bevölkerung“ sehen, würden viele Wirtschaftssektoren hinterfragt werden. Staatliche Förderungen müßten neu justiert werden, wenn „Versorgung“ Priorität bekäme.

Zugleich würden die ländlichen Regionen aufgewertet: sie sind es, in denen die Lebensmittel der Städter wachsen und aus denen die Energie kommt, die die Städte am Laufen halten. Dieses „Versorgungsbewusstsein“ ist auf dem Land noch unterausgeprägt, könnte aber künftig zu mehr Augenhöhe in Kooperationsverhandlungen mit den Städten führen.

Vorsicht vor neuen Abhängigkeiten!

Resilienz folgt aber nicht automatisch daraus, das alle Städte nun alles, was sie brauchen, aus ihrem Umland beziehen. Wie die Corona-Pandemie zeigt, können in Krisensituationen Effekte auftreten, die man nicht vorhergesehen hat. So hat beispielsweise die Nachhaltigkeitsszene in Deutschland sehr viel Wert auf „Community & Zusammenarbeit“ gelegt, und dabei ein Pandemieszenario und „social distancing“ nicht einkalkuliert. Die Strategie des „Zusammenmachens“ wurde durch Corona erstmal torpediert und nur mühsam versucht die Szene, neue Formen der Zusammenarbeit in Zeiten des „social distancing“ zu entwickeln. Ebenso wäre es töricht, wenn große Städte sich künftig nur auf ihr Umland verlassen: Eine dreijährige regionale Trockenperiode könnte ihre Versorgung infrage stellen. Redundanzen sind daher das Gebot der Zukunft: Städte sollten viel stärker das regionale Potenzial nutzen und die regionale Versorgung fördern. Das taten sie zuletzt viel zu wenig. Aber sie sind gut beraten, redundante Versorgungswege offen zu halten, beispielsweise mit gezielten „Krisen-Vorsorge-Kooperationen“ mit Partnerstädten und Partnerregionen. Für mehr Widerstandsfähigkeit gilt es, Mono-Abhängigkeiten zu vermeiden.

Neue Chancen für ländliche Regionen

Ländliche Regionen ihrerseits sind gut beraten, ihre Wichtigkeit als „Gärtnerei der Städte“ hervorzuheben. Die nach einem Geschäftsmodell suchende Lausitz könnte sich als Mitversorger Berlins, Dresdens und Wroclaws positionieren. Fläche für Energieversorgungssysteme, Holz und auch Lebensmittel (Teich- und Landwirtschaft) gibt es genug. Und auch Raum für Naherholung: Nachdem Fernreisen zwecks Unterbrechung der „schwachen Bindungen“ wohl längerfristig eine untergeordnete Rolle spielen werden, wird der Nahtourismus zunehmen. Man kann dies bereits wahrnehmen: wer im April 2020 in den Wäldern unterwegs ist, begegnet auffällig mehr Menschen.

Da in Wirtschaftsaspekten immer nach dem „unique selling point“ gesucht wird, also der „Einzigartigkeit“ der Leistung, die jemand verkauft, wird sichtbar, dass eine Resilienz-Erzählung die „wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“ des ländlichen Raumes gegenüber den wichtigsten Märkten (die Städte!) hervorhebt.

Resilienz in regionale Geschäftsmodelle integrieren

Verletzlichkeit entsteht durch Abhängigkeit. Abhängigkeiten entstehen durch Monokultur. Die Lausitz war viele Jahre lang vom „Geschäftsmodell Braunkohle“ abhängig und leidet nach dem Bedeutungsverlust der Branche. Ähnliches könnte Städten wie Wolfsburg passieren, wenn die Bedeutung der Automobilindustrie schrumpft. Auch Orte in Baden-Württemberg oder Sachsen, wo Automobilzulieferer in „guten Zeiten“ für gute Löhne sorgen, sind verletzlich, wenn sie sich allein auf diese eine Branche konzentrieren. Der „Peak Automobil“ ist erreicht. Regionen mit alleiniger Ausrichtung auf einzelne Branchen sind verletzlich.

Umso spannender sind Experimente in der Corona-Pandemie, die Produktion von Fabriken so umzustellen, dass andere Produkte herstellbar werden. Wenn Fabriken so designt sind, dass sie binnen zwei Wochen statt Auto-Teilen plötzlich Beatmungsgeräte herstellen können, schrumpft ihre Verletzlichkeit und ihre Widerstandskraft wächst. Hier zeigt sich, dass Flexibilität die Ausfallwahrscheinlichkeit senkt und somit die Resilienz erhöht. Die Fähigkeit zum schnellen Re-Design von Fabrikationen ist ein Maßstab für Widerstandsfähigkeit. Regionen, die auf kreative Köpfe zurückgreifen können, die „mal eben“ die Abläufe in einer Fabrik „umdesignen“ können, helfen nicht nur der Fabrik, sondern der Region. Diese „Re-Design“-Überlegungen knüpfen an der Konversionsdebatte der 1980er an, als es darum ging, Rüstungsbetriebe in Zivilbetrieb zu überführen. Regionen, die sich an ihren Hochschulen Design-Lehrstühle halten und Studierende und regionale Firmen zusammenbringen, erhöhen auch ihre spontane Anpassungsfähigkeit.

Wenn es darum geht, Monokulturen in der Wirtschaftslandschaft zu vermeiden, muss auch der „Leuchtturm-Ansatz“ hinterfragt werden, der oft in der (regionalen) Wirtschaftsförderung angewendet wird. „Leuchttürme“ werden oft als einzelne, große Unternehmen gedacht, deren Strahlkraft auch in ihre Umgebung wirkt: indem Sub-Unternehmen als Lieferanten einbezogen werden, fließen Erlöse des Leuchtturm-Unternehmens in die kleineren Unternehmen und stärken diese. Wird aus dem Förder-Effekt eines Leuchtturms allerdings eine Abhängigkeit, stehen Regionen im Krisenfall kritisch da. Bedenkenswert wäre daher, die Leuchtturm-Strategie zumindest um eine „Lichtermeer-Strategie“ anzureichern: sich also darum zu bemühen, möglichst viele, vielleicht auch nicht ganz so große Unternehmen in einem Netzwerk heranzuziehen, die auf verschiedenen Märkten unterwegs sind. Fallen dann einzelne Märkte und einzelne Unternehmen aus, betrifft das aber nicht gleich die ganze Region. Viele kleine zusammen können letztlich vergleichbare Strahlkraft entwickeln wie eine Handvoll großer.

Allerdings muss klar sein: Der heutige ökologische Fußabdruck in Mitteleuropa ist nicht nachhaltig und kann es nie sein. Kommunen, die sich widerstandsfähiger machen wollen, müssen darauf einwirken, dass der Konsum ihrer BewohnerInnen nicht überbordend und keine Selbstverständlichkeit wird. Um sich um die ureigene kommunale Aufgabe der Daseinsvorsorge zu kümmern, müssen die Kommunen womöglich auch darauf einwirken, dass ihre BewohnerInnen eine angemessene Konsum-Balance anstreben.

„Reich ist nicht, wer viel hat, sondern wer wenig braucht.“ Die dem Erzbischof von Konstantinopel Johannes Chrysostomos zugeschriebene Weisheit kann als Leitsatz für Genügsamkeit und Resilienz dienen.

Flexibilität einbauen

Die Corona-Pandemie zeigt uns: Wer flexibel ist und seine Arbeitsweise an „social distancing“ anpassen (Homeoffice!) und seine Geschäftsmodelle umstellen kann (Konversion/Re-Design), ist wesentlich weniger stark betroffen. Flexibilität in die starren Strukturen einzubauen, macht widerstandsfähiger. Eine ausgeprägte Flexibilitätskultur kann sicherlich erlernt werden: Für Städte und Dörfer indem sie Reallabore durchführen, um Neues zu testen, Experimentierklauseln in ihre Regularien einführen oder bestehende Experimentierräume nutzen, aber auch ganz banal: Übungen durchführen. Kommunalverwaltungen, die nie einen Stromausfall, eine Trockenperiode oder einen Wirtschaftskrise erprobt haben, reagieren auf solche Ereignisse naturgemäß langsamer. Gleiches gilt natürlich für Unternehmen, Vereine, (Hoch-)Schulen und andere Institutionen.

(Zwischen-)Fazit

Verletzlichkeit entsteht durch Abhängigkeiten, die wiederum durch Monokulturen entstehen. Widerstandsfähige Städte und Gemeinden brauchen wenig, und was sie brauchen beziehen sie über vielfältige Kanäle und bezahlen es durch Vielfalt in ihren Geschäftsmodellen. Widerstandsfähigkeit wird durch Flexibilität erhöht, die sich darin ausdrückt, ob man in der Lage ist, bestehende Strukturen und Arbeitsweisen schnell umzubauen, zu „re-designen“. Stadt und Land stehen sich dafür idealerweise kooperierend beiseite und arbeiten symbiotisch.

Teil 4 befasst sich mit der Frage: Wie kann man Resilienz einüben?

Hier gehts zum Sandpapier-Podcast über Resilienz in der Zukunftsstadt.

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Systemische Resilienz in Zeiten der Corona-Pandemie, Teil 2

Resilienz und Systeme

Resilienz bedeutet „Widerstandsfähigkeit“. Der Begriff stammt aus der Ökosystemtheorie, wird aber inzwischen in verschiedenen Fachbereichen benutzt. Beispielsweise in der Psychologie. Diese „fachliche Weitläufigkeit“ des Begriffs zeigt, dass die von ihm adressierte Frage in verschiedenen Fachbereichen auftaucht:

  • Wie widerstandsfähig ist ein Mensch?
  • Wie widerstandsfähig ist ein Unternehmen?
  • Wie verletztlich bzw. widerstandsfähig ist eine Kommune oder gar ein ganzes Land?

Auch läßt sich diese Frage auf Systeme anwenden, die als Querschnitt zwischen anderen Systemen liegen, oder als unterstützende, versorgende, transportierende Infrastruktursysteme fungieren:

  • Stromversorgungssystem
  • Mobilitätssystem
  • Finanzsystem
  • Gesundheitssystem
  • Bildungssystem

Verletzliche Systeme: Kollaps des Gesundheitssystems?

In der aktuellen Corona-Pandemie ist oft von einem möglichen „Kollaps des Gesundheitssystems“ die Rede. Unter „Kollaps“ ist dabei vermutlich gemeint, dass die Funktionsweise des Systems so stark beschädigt ist, dass es seine Systemdienstleistung nicht mehr (gut genug) erbringen kann. Natürlich brechen keine Mauern von Krankenhäuser zusammen, weil die Menschen darin einen Viruseffekt haben, aber die Funktion von Krankenhäusern kann beschädigt werden, wenn das Personal überlastet ist oder wenn weniger Beatmungsgeräte vorhanden sind als Patienten, die solche Geräte brauchen. Dann verliert das Krankenhaus seine Funktion, für die es gedacht ist und gebraucht wird. Passiert das in vielen Krankenhäusern gleichzeitig, kann man sehen, dass das gesamte Gesundheitssystem seine Funktionsfähigkeit verliert.

Krankenhäuser sind zentrale Bausteine des Gesundheitssystems. Sie sind aber auch selbst Systeme: Sub-Systeme des Gesundheitssystems. Systemausfälle können also andere Systeme in Mitleidenschaft ziehen: wenn viele Krankenhäuser ihre Funktionalität verlieren, verliert das Gesundheitssystem, dessen Teil sie sind, seine Funktionalität.

Resilienz von Systemen

Um strukturiert ein Bild von Verletzlichkeit und Widerstandsfähigkeit zu bekommen, lohnt es sich also sich anzuschauen, welche Systeme es gibt und worin deren Funktionalität besteht. Gesellschaftliche Systeme setzen sich dabei aus „Bausteinen“ zusammen. Folgende Tabelle zeigt solche Bausteine, wobei man sagen kann, dass größere Systeme sich aus kleineren Systemen zusammensetzen, während Systeme die Funktionalität anderer Systeme nutzen, als auch eigene Funktionalität für andere Systeme bereitstellen.

Ebene Wer? Beispiele! Maßstab, anhand dem die Funktionsfähigkeit ablesbar ist
Individuelle Ebene Ein Mensch: Sie! Ich. Die Nachbarin. Klaus. gesund?/gesunderhaltend?
Familienebene Familie Müller, Familie Djawid versorgt?/versorgend?
Organisationsebene Unternehmen, Vereine, Verwaltungen, … lieferfähig, arbeitsfähig?/belieferbar?
Kommune Wuppertal, Bergamo, New York, Madrid daseinsversorgend?
Regionenebene Kommunen + Umland: Sachsen, Ruhrgebiet, Region Hannover versorgungsunterstützend?
Nationale Ebene
BRD, USA, VR China, Republik Italien
regierend, steuernd?

Der Mensch, ein psychisches System

Die Systemtheorie und von ihr inspirierte Fachbereiche wie die Psychologie erlauben sich, auch einen einzelnen Menschen als System zu betrachten. Das Bewusstsein eines Menschen läßt sich als „psychisches System“ beschreiben. Wie für Systeme üblich kommuniziert der Mensch, hat eine gewisse Funktionalität und einen gewissen System-Zustand, der sich ändern kann. In der Corona-Pandemie geht es darum die vielen Individuen möglichst gesund zu halten. Sie sind verletzlich gegenüber Viren, die ihren Körper angreifen und beschädigen können, bis hin zum Tod. Diese Verletzlichkeit wird als Stärke des Corona-Virus sichtbar: es kann Menschen krank machen und töten.

Allerdings haben auch die Reaktionen der politischen Entscheider Auswirkungen auf uns Menschen: Die Isolation, in der wir uns halten sollen, drückt aufs Gemüt, und auch sich einstellende Ängste haben Auswirkungen auf die (psychische) Gesundheit eines Menschen. Und nun stellt sich die Frage:

  • Wie widerstandsfähig ist der/die Einzelne gegenüber dem Virus und den gesellschaftlichen Wirkungen?

Und in der Tat wird hierfür auch in der Psychologie der Begriff der Resilienz benutzt, um zu beschreiben, wie verletzlich oder widerstandsfähig ein Mensch ist.

Woran kann man letztlich aber ableiten, wie verletztlich oder resilient ein Mensch gegenüber der „Corona-Situation“ ist? In obiger Tabelle schlage ich vor, dass man die letztlich an der „Funktionsfähigkeit“ ablesen kann, ob ein Mensch seiner „Rolle“ im Gesamtsystem nachkommt. Bei einem Menschen stellt sich also die Frage:

  • Ist er/sie gesund?

Und dazu kann man die Frage stellen:

  • Ist er/sie in der Lage, andere gesund zu erhalten?

Beide Fragen zusammen beleuchten also den Zustand eines Menschen: wie geht es ihm? Ist er in der Lage, etwas für andere zu tun?

Die Familie als Versorgungs-System

In der Corona-Isolation sind wir oftmals stark auf unsere Familienebene zurückgeworfen. Die Familie als Verbund einzelner Menschen hat familienspezifische Aufgaben. Insbesondere soll sie die einzelnen Familienmitglieder versorgen: Mit Essen, Wärme, Nähe, Zuwendung.

Verliert eine Familie diese Funktion, ist ihre Widerstandsfähigkeit offenbar gebrochen. Sie ist ihrer Verletzlichkeit erlegen. Sie kann ihre Funktion nicht mehr (adäquat) erfüllen.

Natürlich ist die Funktionsfähigkeit eines Familien-Systems abhängig davon, wie es den einzelnen Familienmitgliedern geht. Geht es Müttern und Vätern gut, können sie dazu beitragen, dass es auch anderen in der Familie gut gehen. Sind sie allerdings Opfer ihrer Verletzlichkeit geworden, senkt das auch die Widerstandsfähigkeit der Familie. Die Resilienz von Systemen ist also abhängig von der Resilienz ihrer Sub-Systeme, wie auch von der Resilienz ihrer Umgebungssysteme.

Verletzlichkeit und Resilienz analysieren

Auf ähnliche Weise kann man sich fragen:

  • Wie verletzlich ist eine Organisation gegenüber einer Pandemie?
  • Wann verliert sie ihre Funktionsfähigkeit?

Um Verletzlichkeit zu vermeiden und Widerstandsfähigkeit aufzubauen könnten sich Organisationen fragen:

  • Welchen Risiken gegenüber sind wir (besonders) verletzlich?
  • Von welchen anderen Systemen hängt unsere Funktionsfähigkeit ab?
  • Welchen Beitrag können wir leisten, um unsere Sub-Systeme (insbesondere die MitarbeiterInnen) widerstandsfähiger zu machen?
  • Mit welchem Beitrag können wir jene Systeme ertüchtigen, auf deren Funktionsfähigkeit wir angewiesen sind?
  • Welche Systeme wären gefährdet, wenn wir unsere Funktionsfähigkeit verlieren? Haben wir eine Verantwortung für jene Systeme, die auf uns angewiesen sind? Und wenn ja, wie können wir diese Verantwortung aktiv übernehmen?

Man kann in obiger Tabelle nun weitere Ebenen mit ähnlichen Fragen konfrontieren und auch die Kommunen, die regionalen Verbünde, die Nationen sowie die planetaren Strukturen einer entsprechenden Analyse unterziehen. Für den Einzelnen, beispielsweise für Sie liebe Leserin/lieber Leser, ist eine wichtige Frage aber:

  • In welchen Systemen habe ich (relevanten) Einfluss? Welche Systeme sind für meine eigene Funktionalität bedeutend und wie kann ich diese resilienter machen?
  • Wie vermeide ich eigene Verletzlichkeit und mache ich mich selbst resilienter?

Weiterlesen: Teil 3: Systemische Resilienz: Resilienz und Regionalentwicklung

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Systemische Resilienz in Zeiten der Corona-Pandemie, Teil 1

„Corona“ testet unsere Systeme

Resilienz bedeutet „Widerstandsfähigkeit“. Der Begriff stammt aus der Ökosystemtheorie. Widerstandsfähigkeit steht als Gegenbegriff zu „Verletzlichkeit“. Systeme können verletzlicher oder widerstandsfähiger sein.

Was wir in Zeiten der Corona-Krise erleben ist ein Test der zivilisatorischen Systeme. Die Corona-Pandemie und die politischen Entscheidungen stressen und strapazieren zahlreiche Systeme. Die aktuellen Entwicklungen „testen“ also, wie resilient unsere Gesellschaft und ihre Sub-Systeme gegenüber einer globalen Pandemie ist. Den Zeitungen und Nachrichten können wir derzeit im Tagestakt neue Entwicklungen, Entscheidungen und Empfehlungen entnehmen. Ich möchte hier jedoch einen etwas distanzierteren Blick auf die Corona-Pandemie einnehmen und mir anschauen, was wir daraus über die Resilienz von Systemen lernen können.

Resilienz und die Transition Towns

Mir persönlich ist die Idee von Resilienz nicht neu. Der Begriff lief mir spätestens mit dem Aufkommen der „Transition Town“-Idee über den Weg. Im deutschsprachigen Raum verankerte sich die Idee der „Transition Towns“, der „Städte im Übergang“ mit dem Buch „Energiewende – das Handbuch“ von Rob Hopkins. Es erschien 2008 im Zweitausendeins-Verlag und trug den Untertitel „Anleitung für zukunftsfähige Lebensweisen“. Hopkins diskutiert in dem Buch eine Transformation unserer Strukturen und unserer Lebensweise vor dem Hintergrund von Ölknappheit und Klimawandel. Er empfiehlt in diesem Buch, die Städte und Dörfer als zentrale Handlungsebene zu betrachten: statt zu versuchen, global auf den Klimawandel einzuwirken solle der Einzelne sich lieber um sein Dorf bzw. seine Stadt kümmern, denn dort könne er wirksam sein, weil er/sie dort tatsächlich Einfluss habe. Und Hopkins diskutierte das Konzept der „Resilienz“, indem er sagte: Es lohnt, bei der Transformation der Städte und Gemeinden nicht nur auf eine Verminderung des CO2-Ausstoßes zu achten oder auf einen Aufbau eines Energiesystems auf Basis erneuerbarer Energiequellen, sondern auch, unsere Kommunen auf mögliche Nebenwirkungen vorzubereiten. Unsere Städte und Dörfer sollen auch weiter funktionieren, wenn sie mit Schocks oder Krisen konfrontiert sind. Wenn unsere Wohnorte „krisenfester“ sind, bleiben wir in ihnen handlungsfähig. Die Idee der Krisenfestigkeit, der Widerstandsfähigkeit, der Resilienz hat Hopkins also zuerst auf die Kommune bezogen, und sie aus den Risiken von Klimawandel und Energieversorgung abgeleitet.

Ich fand beide Überlegungen sehr wertvoll:

  • die Idee, „Widerstandsfähigkeit“ als Maßstab für die Gesundheit einer Kommune anzulegen,
  • als auch die Idee, mir die Kommune als Handlungsebene zu suchen, weil ich (und die meisten anderen Menschen) dort mehr Einfluss haben als in fremden Städten oder auf globaler Ebene.

Die Idee einer Pandemie diskutiert Rob Hopkins in diesem Buch nicht. Wie gesagt interessierte ihn und die damals entstehende „Transition Town“-Community zuerst die Risiken aus Energieversorgung und Klimawandel. Diese beiden Risiken sind auch heute noch höchst relevant, aber das Tagesgeschehen wird aktuell dominiert von der Corona-Pandemie und den nationalen Reaktionen darauf.

Krisenszenarien und Resilienz

Resilienz beschreibt also die Fähigkeit eines Systems, gegenüber (externen) Schocks und Krisen widerstandsfähig und handlungsfähig zu bleiben. Dabei können die Schocks vielfältiger Art sein:

  • Pandemien, siehe: Corona
  • Wirtschaftskrise, siehe: wirtschaftliche Auswirkungen auf die politischen Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie
  • Finanzkrise
  • Energieversorgungskrise, Stromausfall
  • Klimawandel, Extremwetter
  • politische Krisen

Die Liste zeigt: es gibt vielfältige Krisenszenarien, gegen die unsere Systeme widerstandsfähig sein sollten. Die Corona-Krise erlaubt es uns, live und in Farbe zu beobachten, wie widerstandsfähig Einzelsysteme gegenüber einer Gesundheitskrise (und deren Nachwirkungen) sind. Systeme können gegenüber dem einen Krisenszenario unglaublich widerstandsfähig sein, aber gegenüber einem anderen höchst verletzlich. Ich möchte versuchen, mit der „Resilienz-Brille“ auf die verschiedenen Systeme zu schauen. So können wir aus der aktuellen Corona-Krise bestenfalls lernen, wie wir unsere Systeme auch gegenüber anderen Krisen widerstandsfähiger gestalten können.

Corona

Weiterlesen: Systemische Resilienz in Zeiten der Corona-Pandemie, Teil 2